WIRTSCHAFTSSPIEGEL – Ausgabe 2/2023

Das Wirtschaftsmagazin für Thüringen www.wirtschaftsspiegel-thueringen.com Nr. 02.2023 ı 19. Jg. ı 78363 ı 7,70 EUR © Clayton D/peopleimages.com - stock.adobe.com QUANTENTECHNOLOGIE Was wird in Zukunft möglich sein? CYBERSICHERHEIT Wie können sich Unternehmen schützen? REGION IM PROFIL Schmalkalden freut sich auf den Thüringentag Die Zukunft im Blick Forschung · Innovation · Nachhaltigkeit

Es liegt bei uns „Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war“, sagte einst der für seine markigen Sprüche bekannte amerikanische Baseballspieler Lawrence „Yogi“ Berra. Und in der Tat: Als vor 50 Jahren das erste Mobiltelefon das Licht der Welt erblickte, war der Glaube an unbegrenztes Wachstum noch das Maß der Dinge. Kein Mensch fragte nach Ressourcenknappheit oder Klimawandel. Als der Kalte Krieg zuende ging, konnte sich niemand vorstellen, dass Europa je wieder zum Kriegsschauplatz werden könnte. Also was ist das eigentlich: Zukunft? Versteht jeder und jede vielleicht etwas anderes darunter? Wie gestaltet man sie? Welche Folgen hat unser heutiges Handeln für die Zukunft? Ich glaube, die Gestaltung der Zukunft erfordert ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Weitsicht. Es geht darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um langfristige und nachhaltige Ziele zu erreichen. Ich bin überzeugt, dass Technologie und Innovation eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung der Zukunft spielen. Aber auch das gehört zur Wahrheit: Neue Technologien können missbräuchlich verwendet werden. Als Lise Meitner und Otto Hahn die Kernspaltung erforschten, dachten sie zunächst an die friedliche Nutzung dieser unerschöpflichen Energiequelle. Die erste praktische Anwendung fand sie jedoch in Atomwaffen. Für Künstliche Intelligenz gibt es schon heute eine Vielzahl sinnvoller Anwendungen. Es gibt aber auch kriminelle Elemente, die sie zum Schaden Anderer einsetzen. Zukunft hat Vergangenheit und baut auf der Gegenwart auf. Es liegt also bei uns, wie die Zukunft aussehen wird, ob wir kommenden Generationen ein intaktes Gemeinwesen und einen lebenswerten Planeten übergeben. Gestalten wir die Zukunft – jeder für sich, aber doch alle gemeinsam und zum Wohle aller. Das Heft, das Sie gerade aufgeschlagen haben, ist voller Gedanken und Ideen für eine gute Zukunft. Ich lade Sie herzlich ein, sie zu entdecken. Bleiben Sie zuversichtlich. Ihr Torsten Laudien Chefredakteur WIRTSCHAFTSSPIEGEL © Who is Danny - stock.adobe.com, Sandro Jödicke_whitedesk

Thüringen 4 Fotos: TITK/Beikirch (S.4), Koehler Papier (S. 5) Zukauf Der Ilmenauer Quarzglashersteller QSIL wächst weiter. Wie das Unternehmen mitteilte, wurde der Glasfilter-Spezialist Robu übernommen. Damit soll das Portfolio im Quarz- und Spezialglas-Sektor erweitert werden. Das Spezialglas werde unter anderem in der Pharmazie, Sensortechnologie oder auch in der Nuklearmedizin eingesetzt. Zur QSIL-Gruppe gehören in Thüringen bereits die Ceramics GmbH in Auma-Weidatal, die Ingenieur- keramik GmbH mit Standorten in Frankenblick und Sonneberg und der Keramik-Spezialist SiCeram in Jena. 35-Stunden-Woche Am Erfurter Standort von Bosch wird schrittweise die 35-StundenWoche eingeführt. Wie ein Sprecher der IG Metall mitteilte, gilt hier ab sofort zunächst die 37-StundenWoche. Im kommenden Jahr wird die Arbeitszeit auf 36 Stunden gesenkt, 2025 auf 35 Stunden. Die Arbeitszeit wird damit an das westdeutsche Niveau angepasst. Große Nachfrage Die Nachfrage nach Flächen im künftigen Industrie- und Gewerbegebiet „An der B19“ bei Schmalkalden ist groß. Wie Bürgermeister Thomas Kaminski vor dem Stadtrat sagte, sollen noch in diesem Jahr drei Grundstücke verkauft werden. Käufer seien zwei Unternehmen aus der Region und eines aus der Schweiz. Das Gewerbegebiet zwischen Niederschmalkalden und Schwallungen wird noch erschlossen und bietet 23 Hektar reine Baufläche. Ab 2024 sollen sich Unternehmen dort ansiedeln können. Das Land fördert das Vorhaben zu 90 Prozent, mit rund 24 Millionen Euro. Hoher Besuch Der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer (links im Bild) war kürzlich zu Gast im Thüringischen Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung (TITK) in Rudolstadt. Dabei informierte er sich darüber, wie das in Mitteldeutschland erfolgreiche Geschäftsmodell der nicht grundfinanzierten wirtschaftsnahen Forschung funktioniert. TITK-Direktor Benjamin Redlingshöfer (r.) lobte die jüngst verabschiedete textile Rücknahmeverordnung der EU ab 2025. „Damit wird die Etablierung einer vollständig nachhaltigen Textilwirtschaft stark vorangetrieben", betonte Redlingshöfer im Hinblick auf die fast 90-jährige ZelluloseKompetenz am Standort Schwarza. Mehr ausländische Mitarbeitende Der Anteil an ausländischen Mitarbeitenden hat in Südthüringer Betrieben deutlich zugenommen. Wie die IHK Südthüringen mitteilte, waren Ende Juni in Firmen der Region rund 11.400 Ausländer beschäftigt. Der Anteil ausländischer Mitarbeitender erreichte damit neun Prozent. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der Region um ein Prozent gesunken, während sie deutschlandweit um 19 Prozent stieg. Ohne die ausländischen Beschäftigten wäre der Rückgang laut Kammer noch dramatischer ausgefallen. Die größte ausländische Gruppe auf dem Südthüringer Arbeitsmarkt sind Polen mit über 2.500 Beschäftigten, gefolgt von rund 2.300 Rumänen, und über 500 Chinesen. Außerdem arbeiten je knapp 500 Syrer und Bulgaren in der Region. Wirtschaftsnachrichten aus Thüringen THÜRINGEN 04 .... Regionale 05 .... Wirtschaftsnachrichten 28 .... Köpfe und Karrieren 48 .... Aus den Netzwerken 50 .... Veranstaltungen und Termine ZUKUNFTSTECHNOLOGIEN 06 .... Was heißt Zukunft gestalten? 08 .... Experten schlagen 05 .... Zukunftsausschuss vor 11 .... Innovationspreis Thüringen 05 .... ausgelobt 12 .... Mitgestalter der zweiten 05 .... Quantenrevolution 15 .... Quantenbildgebung für 05 .... Medizin und Biologie 16 .... Quantenschlüssel zur Zukunft DIGITALISIERUNG UND DATENSICHERHEIT 18 .... Digitale Plattformen 05 .... als Chance 21 .... Digitalisierung ist Dreiklang 22 .... Anforderungen für 05 .... Cyberversicherungen 24 .... Faktoren für langfristigen 05 .... Unternehmenserfolg 25 .... Waltershäuser Technologietag 05 .... feiert runden Geburtstag 26 .... Thüringen kürt seine 05 .... „Hidden Champions“ REGION IM PROFIL: SCHMALKALDEN 31 .... Juwel am Südrand des 05 .... Thüringer Waldes 32 .... Bürgermeister Thomas 05 .... Kaminski im Interview 35 .... Neue Hütte lädt zur Zeitreise 36 .... Know-how und Erfahrung 38 .... Wir denken in anderen 05 .... zeitlichen Dimensionen 40 .... Simulationen als Instrumente 05 .... der Optimierung 42 .... Wir hauchen Robotern 05 .... Leben ein 44 .... Treffpunkt für berufs- 05 .... begleitend Studierende 46 .... Spannende Arbeitgeber finden Aus dem Inhalt

5 Thüringen Eröffnung Die Unternehmensgruppe BACHL hat in Ronneburg, Landkreis Greiz, ein neues Steinwolle-Werk eröffnet. Der mineralische Dämmstoff wird von 120 Mitarbeitenden hergestellt. Die Firma hat dafür auf einer Fläche von neun Hektar ein Werk errichtet. Seit rund 30 Jahren stellt die Firma BACHL in Ronneburg Dämmstoffe her, vor allem Styropor. Warnung Die IHK Südthüringen warnt Unternehmen vor überteuerten Angeboten, um die Schutzdauer von Marken zu verlängern. Wie die Kammer mitteilte, offerieren Privatanbieter eine Verlängerung für den ablaufenden Markenschutz. Die Gebühren bei solchen Angeboten fielen dabei aber erheblich höher aus als beim Deutschen Patent- und Markenamt DPMA. Es sei preisgünstiger, den Markenschutz bei der Behörde zu verlängern, hieß es. Laut IHK hätten sich in Südthüringen derzeit wieder einzelne betroffene Unternehmen an die IHK gewandt. Nachhaltigkeit als Programm Koehler Paper ist mit seinem Standort in Greiz dem Nachhaltigkeitsabkommen Thüringen beigetreten. Das Unternehmen hat sein Heizkraftwerk von Braunkohle auf Holzfeinfraktion umgestellt. So können dort mehr als 24.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr eingespart werden. Dafür hat die Koehler-Gruppe rund 7,6 Millionen Euro investiert. Auf dem Bild von links: Grit Booth, Leiterin Geschäftsstelle Nachhaltigkeitsabkommen Thüringen, Frank Häberlein, Leiter Kraftwerk Koehler Paper Standort Greiz, Udo Hollbach, Geschäftsführer Koehler Paper Standort Greiz, Patrick Haß, Betriebstechnik Koehler Paper Standort Greiz, Steffi Keil, Sachgebietsleiterin Innovation und Umwelt, IHK Ostthüringen zu Gera, Ulrich Mallon, Leiter Technologie-Qualitätssicherung, Alexander Stöckle, Pressesprecher Koehler-Gruppe und Antje Rühling, Verkaufsberaterin Koehler Paper Standort Greiz. Design - Bau - Service Immobilien mit System GOLDBECK Niederlassung Thüringen, 99334 Amt Wachsenburg, Thöreyer Straße 1, Tel. +49 36202 707-0, erfurt@goldbeck.de GOLDBECK Geschäftsstelle Suhl, 98544 Zella-Mehlis, Zellaer Höhe 2b, Tel. +49 3682 46060-100, suhl@goldbeck.de building excellence goldbeck.de Expansion Die Jenaer Digitalagentur Dotsource expandiert ins Ausland. Wie das Unternehmen mitteilte, soll im Frühjahr eine Niederlassung in Kroatien eröffnet werden. Kroatien sei ein vielversprechender Standort für die Gewinnung von Fachleuten. Auch wolle man verstärkt Kunden außerhalb des deutschsprachigen Raums gewinnen. Derzeit arbeiten in der Digitalagentur Dotsource in Jena etwa 380 Mitarbeitende, insgesamt sind es mehr als 520. Neubau Der Logistikdienstleister Zeitfracht in Erfurt wächst weiter. Wie das Unternehmen mitteilte, entsteht derzeit am Güterverkehrszentrum Erfurt eine 45.000 Quadratmeter große Halle. Im Sommer soll sie in Betrieb gehen und vorwiegend für die Verlagsauslieferung genutzt werden. Mit dem Neubau wächst die Logistikfläche um knapp 20 Prozent. Nach eigenen Angaben investiert die Zeitfracht-Gruppe einen zweistelligen Millionenbetrag. (tl)

Nachgefragt ZUKUNFT GESTALTEN – WAS HEISST DAS EIGENTLICH? Der Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein sagte einmal: „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“ So unterschiedlich wie Menschen sind, sind auch ihre Zukunftsentwürfe und ihr Bild von Zukunft im Allgemeinen. Sandra Böhm und Torsten Laudien haben ganz unterschiedliche Menschen zum Thema Zukunft zu Wort kommen lassen. „Zukunft bedeutet für mich alltägliche Abläufe, privat wie wirtschaftlich, auf eine nachhaltige Weise auszurichten und zu gestalten. Wir haben zu lange Raubbau an der Welt und unseren sozialen Strukturen betrieben und müssen auf Prozesse umstellen, die so wie sie gemacht werden dauerhaft funktionieren ohne dabei Mensch, Natur und Ressourcen langfristig zu schädigen.“ Max Stiebling, Gründer „Die Teigmacher“, Bad Tabarz „Zukunft gestalten, heißt für mich, dass die Inklusion einen höheren Stellenwert in Deutschland bekommt.“ Simon Seyfarth, 16, Para-Leichtathlet, Fußballer und Schüler aus Erfurt „Zukunft gestalten heißt für mich, die Ausbildung zu beenden und einen Job zu finden, der mir Spaß macht. Ob das der ist, in dem ich die Ausbildung gemacht habe, ist dann die Frage. Und dann möchte ich natürlich arbeiten, Geld verdienen und aufsteigen, zum Beispiel einen Meister oder Techniker machen.“ Tom Recke, 17, Auszubildender zum Aufbereitungsmechaniker aus Weimar „Zukunft ist auch für morgen handeln.“ Dr. Ute Zacharias, Verbandssprecherin der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, Erfurt Rubrik 6 Foto: VWT

„Zukunft gestalten heißt für mich, mutig zu sein und die eigene Vision nie aus den Augen zu verlieren!“ Anika Luthardt, Gründerin von „feelslike.erfurt“ „Vorausschauendes unternehmerisches Denken und Handeln mit gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung zu verbinden, das heißt für mich Zukunft gestalten.“ Andreas Oertel, Geschäftsführender Gesellschafter ABS electronic Meiningen GmbH 7 Fotos dieser Doppelseite: Sandra Böhm, VWT, privat, feelslike.erfurt, Torsten Laudien, ABS electronic Informationen zum Programm, Tickets und die Online-Anmeldung finden Sie auf www.erwicon.de Save the Date 8. Juni 2023 | Steigerwaldstadion Erfurt Speaker Dr. Peter Kreuz – ‘Rebels at Work‘ Gründer & Spiegel-Bestsellerautor Neven Subotić – Stiftungsgründer & ehemaliger Fußballer Gemeinsame Abendveranstaltung mit ITnet Thüringen e. V. Innovative Strukturen für eine resiliente Wirtschaft „Zukunft gestalten heißt für mich, wissbegierig zu sein und auf unsere gemeinsame Umwelt sowie aufeinander Rücksicht zu nehmen.“ Anika Kästner aus Erfurt, studiert Germanistik im Masterstudium „Zukunft ist ein anderes Wort für Zuversicht.“ Gabor Steingart, Autor und Medienunternehmer, auf dem gemeinsamen Jahresempfang von IHK und HWK

Der Jenaer Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Uwe Cantner leitet die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) Zukunft 8 Foto: FSU Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hat der Bundesregierung Silodenken vorgeworfen. Das geht aus ihrem aktuellen Jahresgutachten hervor. Allerdings konstatieren die Experten unter Leitung des Jenaer Wissenschaftlers Prof. Uwe Cantner, dass die Bundesregierung vor großen Aufgaben stehe. Silodenken in der Bundesregierung? Expertenkommission schlägt Zukunftsausschuss vor Die Regierung müsse zwar die neuen, mit dem Ukrainekrieg verbundenen sicherheitspolitischen Herausforderungen meistern. Die Bewältigung weiterer gesellschaftlicher Herausforderungen, vor allem der großen Transformationen – wie Dekarbonisierung und Digitalisierung –, dürfe dabei allerdings nicht auf der Strecke bleiben. Doch hier sei die Bundesregierung erstaunlich wenig vorangekommen. So wird in der jüngst veröffentlichten Zukunftsstrategie zwar ausgeführt, dass es für die Transformationen zahlreicher technologischer und sozialer Innovationen bedarf. Um sie anzustoßen, so wird angedeutet, müssten vielfältige Maßnahmen aus verschiedenen Politikfeldern zusammenwirken. Jedoch zeigen sich die aktuellen innovations- und transformationsbezogenen Fachpolitiken und Strategien der unterschiedlichen Ressorts kaum miteinander verzahnt und abgestimmt. „Statt Kooperation zwischen den Bundesministerien scheint nach wie vor das alte Silodenken zu dominieren“, resümiert Cantner. Um hier endlich Fortschritte zu erzielen, bedürfe es dringend eines neuen, agilen Politikstils und einer dazu passenden Governance-Struktur. „Auch in der Innovationspolitik ist eine Zeitenwende notwendig! Nur auf diese Weise wird sich in Wirtschaft und Gesellschaft eine Aufbruchsstimmung erzeugen lassen, die für die Umsetzung der Transformationen enorm wichtig ist“, so der Vorsitzende der Expertenkommission. „Ein ‚weiter wie bisher‘ bei der Politikkoordination kann sich Deutschland weder in zeitlicher noch in finanzieller Hinsicht leisten.“ Zukunftsausschuss einrichten Die Expertenkommission empfiehlt, als ein Zeichen der innovationspolitischen Zeitenwende einen ständigen Zukunftsausschuss einzurichten. Aufgabe des Ausschusses wäre es, die Ziele zu innovations- sowie transformationsbezogenen Themen abzustimmen sowie einschlägige Strategien – etwa die Zukunftsstrategie Forschung und Innovation, die Digitalstrategie und die Start-up-Strategie – zu koordinieren und festzulegen. „Diese wichtigen Regierungsaufgaben können weder im Rahmen von Kabinettssitzungen noch bei der Ressortabstimmung einzelner Strategien adäquat geleistet werden“, stellt Uwe Cantner fest. Der Zukunftsausschuss sollte nach Ansicht der Expertenkommission im Bundeskanzleramt verankert und vom Chef des Bundeskanzleramtes geleitet werden. Auf diese Weise käme den Transformationen die höchste politische Priorität zu. Dem Ausschuss sollten diejenigen Ministerinnen und Minister als feste Mitglieder angehören, deren Ressorts am intensivsten mit innovations- und transformationsbezogenen Fragestel-

Online-Angebote für Arbeitgeber Finden statt Suchen Mit Turbogeschwindigkeit zu den Dienstleistungen der Agenturen für Arbeit www.arbeitsagentur.de/ eservices-unternehmen Zukunft Anzeige 9 Finden statt Suchen Sie erreichen unsere Arbeitgeber-Services unter anderem persönlich in den Agenturen für Arbeit oder telefonisch unter 0800 4555520 (gebührenfrei). Es geht aber noch einfacher und schneller: Rund um die Uhr geht es in Turbogeschwindigkeit im Portal www.arbeitsagentur.de zu unseren leicht verständlichen, intuitiv bedienbaren und barrierefreien Online-Informationsangeboten und eServices. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) bietet für Unternehmen ein umfangreiches Spektrum an professionellen Dienstleistungen auf kurzen Wegen. Sie wollen unseren Online-Service nutzen? • Freie Stellen melden, Stellenangebote veröffentlichen und bearbeiten, Postfachnachrichten an Bewerber/innen oder Ihren Arbeitgeberservice senden und empfangen • Leistungen, wie zum Beispiel Kurzarbeitergeld oder Eingliederungszuschüsse beantragen • und noch vieles mehr. Melden Sie sich noch heute für unsere Online-Services an oder registrieren Sie sich, wenn Sie noch keinen Benutzernamen und kein Passwort haben. Warum soll ich als Unternehmen die Online-Angebote der BA nutzen? • 24/7 verfügbar: Die Online-Dienste sind jederzeit ganz bequem und von überall verfügbar. • Eine Handvoll Klicks statt 1000 Formulare: Die Online-Dienste funktionieren schnell und einfach. • Safety First – gerade bei sensiblen Daten: Die Nachrichten über das Postfach der eServices sind deutlich sicherer als E-Mails. • Direkter Draht: Nachrichten und Anliegen landen direkt bei der richtigen Stelle. • Die Trackingfunktion zeigt jederzeit transparent den Bearbeitungsstand von online gestellten Alg-Anträgen an. • Wegzeit und Kosten gespart: Viele einfache Anliegen lassen sich bequem von zuhause oder unterwegs erledigen. Sie benötigen Unterstützung bei der Nutzung unserer Online-Angebote? Kontaktieren Sie uns telefonisch unter 0800 4 555520 (gebührenfrei). lungen befasst sind. Andere Ministerinnen und Minister können anlassbezogen hinzugezogen werden. Um eine hohe Verbindlichkeit zu schaffen, sollte der Zukunftsausschuss dem Bundeskabinett sowie dem Deutschen Bundestag regelmäßig und ergebnisorientiert Rechenschaft ablegen. Die im Ausschuss festgelegten Strategien werden an die Ressorts beziehungsweise ressortübergreifende Teams übergeben und dort über Roadmaps, Meilensteine und fortlaufende Evaluationsschleifen in die Umsetzung gebracht. Synergien zwischen militärischer und ziviler Forschung Die Expertenkommission geht in ihrem Jahresgutachten auch auf die von Bundeskanzler Olaf Scholz angesichts des Krieges in der Ukraine ausgerufenen Zeitenwende ein. In einem eigenen Abschnitt stellt sie die hierzulande bestehende strikte Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung in Frage und plädiert dafür, Synergien zu nutzen. Der russische Angriff auf die Ukraine habe die militärische Sicherheit Deutschlands und damit auch die Militärforschung wieder in den Blick gerückt. „Fakt ist, dass in anderen Ländern Forschungsaktivitäten im Militärsektor wichtige Impulse für Innovationen im zivilen Sektor liefern und umgekehrt. Das heißt, durch die strikte Trennung der beiden Sektoren entgehen Deutschland fortlaufend Synergieeffekte und Innovationsimpulse“, kritisiert EFI-Vorsitzender Uwe Cantner. „Beispielsweise ist die Cybersicherheit sowohl für den zivilen als auch für den militärischen Sektor immens wichtig. Hier sollten die Anstrengungen in der Forschung gebündelt werden“, fordert der Wirtschafts- wissenschaftler von der FriedrichSchiller-Universität Jena. „Ähnliches gilt für die Raumfahrt und den New Space, denkt man nur an die zivile und militärische Forschung zu Kommunikation, Navigation und Erdbeobachtung”, ergänzt Prof. Dr. Till Requate von der Universität Kiel und Mitglied der Expertenkommission. (tl) www.e-fi.de

Anzeige 11 Ab sofort werden wieder die besten Produkte, Verfahren und Dienstleistungen des Freistaates gesucht. Ausgelobt wird der Innovationspreis Thüringen vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, der Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung Thüringen (STIFT), dem TÜV Thüringen sowie der Ernst-Abbe-Stiftung. Bis 30. Juni können Bewerbungen eingereicht werden. Anerkennung, Sichtbarkeit und Netzwerke für Thüringer Innovationen Startschuss für den Innovationspreis Thüringen 2023 „Thüringen ist hoch innovativ und hat viele Hidden Champions. Wir wollen sie zu Visible Champions, sie sichtbar machen.“ so Christiane Kilian, Vorständin der STIFT, über die Intention der Trägergemeinschaft. „Als einer der wichtigsten Wirtschaftspreise Thüringens ist der Innovationspreis Thüringen ein wertvolles Instrument, um das Innovationsökosystem im Freistaat voranzubringen!“ Mit dem Wettbewerb werden Thüringer Erfolgsgeschichten bekannt gemacht – auch über die Grenzen Thüringens hinaus. Die besten markt- fähigen Innovationen werden mit einem Preisgeld von insgesamt 100.000 Euro ausgezeichnet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer profitieren jedoch nicht nur vom lukrativen Preisgeld. „Wettbewerbe sind eine tolle Möglichkeit, seine Produkte auf den Prüfstand zu stellen, sich mit anderen im Licht der Öffentlichkeit zu messen, Sichtbarkeit zu erzeugen und sein Netzwerk zu erweitern. Mit dem Innovationspreis Thüringen bieten wir genau dafür das ideale Ökosystem“, wirbt Kerstin Heimann, Projektleiterin bei der STIFT, für den Wettbewerb. Teilnahmeberechtigt sind Unternehmen jeglicher Größe sowie Einzelpersonen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Sitz oder Betriebsstätte in Thüringen. Die eingereichten Innovationen müssen überwiegend in Thüringen entwickelt, gestaltet und/oder gefertigt worden sein und dürfen nicht länger als zwei Jahre auf dem Markt sein oder kurz vor der Markteinführung stehen. Bewerbungen können in vier Kategorien eingereicht werden. An Start-ups richtet sich ein kategorieübergreifender Sonderpreis. Über die Vergabe des Preises entscheidet eine unabhängige Experten-Jury aus Wirtschaft und Wissenschaft. Sie bewertet die Beiträge unter anderem nach Innovationsgrad, Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und unternehmerischer Leistung. Die Preisverleihung findet am 29. November in der Weimarhalle statt. Sie ist traditioneller Höhepunkt des Wettbewerbes und bietet beste Gelegenheit für interdisziplinären Austausch und Vernetzung mit Entscheidern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Wettbewerbsbeiträge können bis zum 30. Juni 2023 eingereicht werden. www.innovationspreis-thueringen.de Bis 30. Juni bewerben! www.innovationspreis-thueringen.de Innovationspreis Thüringen 2023 100.000 Euro Preisgeld Vier Kategorien Sonderpreise Würdigung I Sichtbarkeit I Netzwerk

Foto: VWT Mitgestalter und Pioniere der zweiten Quantenrevolution Wenn es um bahnbrechende Zukunftstechnologien geht, ist immer mal wieder von Quantentechnologien die Rede. Wenn die letzte Physikstunde dann auch noch schon ein paar Tage her ist, bleibt den interessierten Laien nur noch ein Stirnrunzeln. Lassen wir es uns also erklären. Und zwar von einem, der zu den wichtigsten Akteuren in Sachen Quantentechnologien gehört. Dr. Kevin Füchsel ist Geschäftsführer der Quantum Optics Jena GmbH. Im Interview mit dem WIRTSCHAFTSSPIEGEL gibt er einen Überblick zum Thema Quantentechnologien. Vollautomatische Fertigung einer verschränkten Photonenpaarquelle

Dr. Kevin Füchsel 13 Fangen wir mal ganz von vorn an, Herr Dr. Füchsel. Was sind Quantentechnologien? Eine fundamentale Hypothese zum Verständnis der Physik auf atomarer Ebene wurde im Jahr 1900 von Max Planck aufgestellt. Diese besagt, dass die Absorption und die Emission, also das Abstrahlen von Licht durch Atome nur mit definierten Portionen (Quanten) beziehungsweise Energien erfolgen kann. In den Naturwissenschaften beschreibt ein Quant also abstrakt gesprochen ein Objekt oder ein Teilchen mit einem diskreten Wert einer physikalischen Größe. In den darauffolgenden Jahren führten die Arbeiten von Planck und weiteren WissenschaftlerInnen zu einem völlig neuen Zweig der Physik, welcher heute als Quantenmechanik bezeichnet wird. Interessant ist dabei, dass im atomaren Bereich Phänomene beobachtet und beschrieben wurden, welche nur schwer mit unseren Alltagserfahrungen vereinbar sind. So konnte Werner Heisenberg zeigen, dass es nicht möglich ist, die Position und den Impuls eines Teilchens gleichzeitig exakt zu messen. Noch spukhafter wurde die Quantenphysik durch grundlegende Arbeiten von Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen, welche 1935 das Prinzip der Quantenverschränkung beschrieben. Dabei sind zwei Teilchen so miteinander verbunden, dass sie sich gegenseitig beeinflussen, unabhängig von der Entfernung zwischen ihnen. Die theoretischen Arbeiten des 19. Jahrhunderts bildeten die Grundlage für eine Vielzahl von Experimenten und Untersuchungen. Neben Nobelpreisen für Max Planck, Albert Einstein, Werner Heisenberg oder Erwin Schrödinger für ihre theoretischen Arbeiten Anfang des 19. Jahrhunderts wurden erst im vergangenen Jahr die Physiker Alain Aspekt, John Clauser und Anton Zeilinger für ihre Experimente mit verschränkten Photonen und Quanteninformationswissenschaften ausgezeichnet. Die Quantentechnologien – sprich die Nutzung von physikalischen Effekten und Gesetzen auf atomarer Ebene – ist in den vergangenen Jahren so spannend geworden, da wir erst heute die technologischen Werkzeuge zur Verfügung haben, um einzelne Teilchen zu erzeugen, zu manipulieren und für neuartige Lösungen zu nutzen. Die Entwicklung des Lasers oder der Leuchtdiode war der erste Schritt in diese Richtung und wird oft als erste Quantenrevolution bezeichnet. Dabei nutzen wir erstmals Quanteneffekte gezielt aus. Die nächste Stufe dieser Entwicklung ist nun die Erzeugung, Manipulation und Detektion von einzelnen Photonen oder Atomen in kommerziellen Produkten. In der Forschungsgemeinschaft spricht man daher häufig von der zweiten Quantenrevolution. Wo liegen die Thüringer Forschungsansätze? Generell lassen sich die Entwicklungen der Quantentechnologien in drei Bereiche gliedern – Quantencomputer, Quantenkommunikation und Quantensensorik. Rückblickend lässt sich sagen, dass die Thüringer Akteure, gerade aus Wissenschaft und Politik, bereits vor einigen Jahren die richtigen Weichen für die Entwicklung eines Quanten-Ökosystems in Thüringen gestellt haben. Die enge Vernetzung von photonischen Technologien mit der Quantenphysik ist sicherlich ein Grund dafür. Ohne den Mut für neue Förderformate und die Bereitschaft in dieses Feld einzusteigen, wären wir aktuell aber nicht so gut positioniert. Heute finden sich für alle Schwerpunktthemen der Quantentechnologien Forschungsbeispiele und Projekte in Thüringen. Sei es die Ent- wicklung von photonischen Quantencomputern, Entwicklungsarbeiten in der Quantensensorik mit neuen bildgebenden Verfahren oder die Entwicklung von hochsicheren Kommunikationslösungen auf Basis von Lichtquanten. Die „Quanten-Community“ ist davon überzeugt, dass sich Lösungen mit einem „Quanten-Mehrwert“ zukünftig in vielen Produktkategorien finden werden und sich diese dann letztendlich mittel- und langfristig durchsetzen werden. Vielleicht nicht mit der erhofften Schnelligkeit, aber vermutlich mit größeren Veränderungen als wir es derzeit erwarten. Als Spezialist in der Quantenkommunikation: Was erforschen Sie? Wir haben die Quantum Optics Jena GmbH vor etwas mehr als zwei Jahren mit der Idee gegründet, verschränkte Photonenquellen zu entwickeln und zu kommerzialisieren. Allerdings wurde uns sehr schnell klar, dass diese Bitte lesen Sie weiter auf Seite 14 Dr. Kevin Füchsel gründete gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Oliver de Vries im Jahr 2021 das Unternehmen Quantum Optics Jena aus dem Fraunhofer IOF aus. Quantum Optics Jena GmbH (S. 12, S. 13) Was sind Quanten? Die Welt ist eine Quantenwelt. Soll heißen: Alles besteht aus Quanten, sofern man hinreichend kleine Systeme anschaut. Denn Quanten sind die kleinsten und unteilbare Einheiten, die physikalische Wechselwirkungen hervorrufen. Indem sie ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen, weisen Quanten Eigenschaften auf, die größere physikalische Systeme nicht haben. Diese besonderen Eigenschaften machen Forscherinnen und Forscher in verschiedensten Anwendungsfeldern nutzbar. (Quelle: Fraunhofer IOF)

Zukunftstechnologien 14 neue Form von Lichtquellen ein viel größeres Marktpotenzial hat. Seit den 1990er Jahren arbeiten viele Forschungsgruppen an Konzepten, mit diesen Lichtquellen abhörsichere symmetrische Schlüssel für die Verschlüsselung von Daten zu entwickeln. Häufig findet man diese Lösungen unter dem Schlagwort Quantenschlüsselverteilung – im englischen Quantum Key Distribution – kurz QKD. Die Idee dahinter ist, dass man einzelne Lichtteilchen nicht ohne die Störung des Quantenzustands analysieren oder abhören kann und somit eine Methode zur Verfügung hat, die die Sicherheit der Datenübertragung auf das Fundament von physikalischen Gesetzen stellt. Mathematische Funktionen zur Erzeugung oder Verteilung dieses Schlüsselmaterials sind nicht mehr notwendig. Für die IT-Sicherheit stellt dies eine Revolution dar. In unseren Systemen erzeugen wir verschränkte Photonen und senden diese dann über Glasfasern an die Kommunikationspartner. Die Eigenschaften der Lichtteilchen werden dort gemessen. Das Spannende ist, das beide Teilchen miteinander verschränkt sind und quasi ein gemeinsames „Geheimnis“ teilen. Dieses können wir in Nullen und Einsen umwandeln und für die Erzeugung eines geheimen Schlüssels verwenden. Wird das Lichtteilchen vorher von einer dritten Partei gemessen, steht es nicht mehr für die Erzeugung des Schlüssels zur Verfügung, da nur gleichzeitige Messungen genutzt werden. Das Kopieren von Quantenzuständen ist auch nicht möglich, da sich diese nicht klonen lassen. Die damit erzeugten Schlüssel werden im Anschluss für die Verschlüsselung der eigentlichen Kommunikation, also beispielweise die Absicherung einer VPN-Verbindung, eingesetzt und können kontinuierlich erneuert werden. Da selbst die Erzeugung des Schlüsselmaterials durch spontane quantenphysikalische Prozesse erfolgt, sind mathematische Verfahren zum Knacken des Schlüssels ausgeschlossen. Ein Angreifer hat daher nur die Möglichkeit diesen Schlüssel zu erraten. Für einen 256 Bit Schlüssel würde dies weit über jede menschliche Lebensspanne hinausgehen. Wer macht das noch auf der Welt? In den letzten Jahren haben sich vor allem in Asien, allen voran China, Hersteller von QKD-Lösungen angesiedelt und Lösungen implementiert. Der Markt ist allerdings auch durch eine Vielzahl von technologischen Lösungen geprägt, wobei sich bisher keine Idee marktseitig durchsetzen konnte. Die verschränkungsbasierte Quantenschlüsselverteilung nimmt dabei eine Sonderstellung ein. Aktuell ist unser Unternehmen weltweit das einzige mit einem kommerziellen ganzheitlichen Produkt, das heißt von der Photonenquelle, den entsprechenden Quantenzustandsanalysatoren und einer eigenen Software. Als Geschäftsführer ist man an dieser Stelle schon sehr stolz auf das gesamte Team. So eine DeepTech Lösung aus dem kleinen Land Thüringen. Sie haben die „Quanten-Community“ angesprochen. Wie sieht es mit der Kooperation unter den Akteuren aus? Gerade die Kooperation mit lokalen Akteuren liegt uns am Herzen, da dies zum einen kurze Wege und schnelle Reaktionszeiten verspricht. Zum anderen sichert es langfristig auch die Innovationsfähigkeit der Region und letztendlich Arbeitsplätze und Wohlstand. Wir sehen uns als Mitgestalter und Pioniere der zweiten Quantenrevolution. Für uns stehen in den nächsten Monaten aber auch einige spannende Projekte auf der Agenda. Gemeinsam mit der Hochschule Nordhausen wollen wir beispielsweise einen Gesundheitskiosk im ländlichen Raum mit einem abhörsicheren Kommunikationssystem ausstatten. Damit sollen Informationen sicher zum Universitätsklinikum nach Jena gesendet werden. Mit dem Team des FraunhoferInstituts für Angewandte Optik und Feinmechanik arbeiten wir aktuell an einer Weltraummission zur Verteilung von Quantenschlüsseln über eine optische Satellitenverbindung. Ziel ist es, in den kommenden Jahren die notwendigen Technologien für eine derartige Mission zu entwickeln und letztendlich auch in den Orbit zu bringen. Neben den regionalen Aktivitäten ist derzeit der Aufbau des einer europäischen Quantenkommunikationsinfrastruktur ein sehr spannendes Thema. Hier soll bis 2027 eine funktionfähige Infrastruktur über ganz Europa aufgebaut werden. Wir hoffen natürlich, dass dabei viele Systeme aus Thüringen ihren Einsatz finden. Interview: Torsten Laudien Quantum Optics Jena GmbH Das Team der Quantum Optics Jena GmbH beim Aufbau eines Systems für die Quantenschlüsselverteilung

Zukunftstechnologien 15 In der Arbeitsgruppe „Quantum Optics“ am Institut für Angewandte Physik der FSU Jena versuchen wir, diese besonderen Lichtzustände für die Bildgebung nutzbar zu machen. Ziel dieser Arbeiten ist es, die Quantenbildgebung für Anwendungen in der Medizin und Biologie zu nutzen und damit neue Möglichkeiten zur Diagnostik und Therapie von Krankheiten zu schaffen. Die besonderen Eigenschaften von Photonenpaaren, die auf fundamentale quantenmechanische Prinzipien zurückzuführen sind, eröffnen das Potenzial, sehr rauscharme Bilder mit einer sehr geringen Anzahl von Photonen zu erzeugen. Die Verbindung zwischen den beiden Photonen eines Paares erlaubt dabei, eines davon mit dem Testobjekt interagieren zu lassen, aber nur das andere mittels einer Kamera zu detektieren. Da die beiden Photonen dabei auch unterschiedliche Wellenlängen aufweisen können, ist es auf diese Weise zum Beispiel möglich, Bilder im Infraroten mit Kameras aufzunehmen, die nur für sichtbares Licht sensitiv sind. Dies ist ein wesentlicher Vorteil in Anwendungen, da Infrarotkameras wesentlich schlechtere Eigenschaften aufweisen als solche für sichtbares Licht, dabei aber um ein Vielfaches teurer sind. Auf diesen Eigenschaften basierende Bildgebungsverfahren können für verschiedene Anwendungen von Vorteil sein. Insbesondere dort, wo mit geringen Lichtintensitäten und in technisch schlecht erschlossenen Wellenlängenbereichen wie dem Infraroten gearbeitet werden muss. Allerdings wurden die grundlegenden Vorteile dieser Verfahren bisher nur an relativ einfachen Laboraufbauten demonstriert. Unsere Arbeit – gefördert durch den Freistaat Thüringen, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Europäische Union – zielt darauf ab, Quantenbildgebungsverfahren so weiterzuentwickeln, dass sie in echten Anwendungen in Medizin und Biologie nutzbar sind. Ein besonderes Augenmerk liegt bei unseren Forschungsarbeiten auf der Integration von Quantenbildgebungsverfahren mit hochauflösenden Mikroskopen aber auch in der Entwicklung neuer Detektions- und Auswerteverfahren, um noch mehr Informationen über die untersuchten Objekte zu gewinnen. Auch arbeiten wir gemeinsam mit einer Vielzahl von regionalen, nationalen und internationalen Partnern intensiv an der Weiterentwicklung von Sensoren und Detektoren. Die bisher zur Verfügung stehenden stellen derzeit eine wesentlich technische Einschränkung dar. Insgesamt birgt die Quantenbildgebung mit Photonenpaaren großes Potenzial für die biomedizinische Bildgebung. Durch die enge Zusammen- arbeit von Forschern aus verschiedenen Disziplinen und die gemeinsame Entwicklung neuer Technologien wird es möglich sein, dieses Potenzial in den kommenden Jahren vollständig auszuschöpfen. (fs) Vira Besaga Quantenbildgebung für Anwendungen in Medizin und Biologie Photonenpaare sind Zustände des Lichts, in denen zwei Photonen durch quantenmechanische Interaktion so miteinander verbunden sind, dass Manipulationen des einen Photons Auswirkungen auf die Eigenschaften des anderen haben. Dr. Frank Setzpfandt vom Abbe Center of Photonics der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) beschreibt den Stand der Forschung und nennt mögliche Anwendungsgebiete. Optisches Experiment zur Erzeugung von Photonenpaaren für die Bildgebung

Rubrik 16 Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts wurden die Grundlagen für die Quantenphysik gelegt. Danach brauchte es knapp 50 Jahre, um erste Anwendungen wie den Laser hervorzubringen. Aus dieser sogenannten „ersten Quantenrevolution“ ging die Photonik als eine wesentliche Schlüsseltechnologie hervor, um aktuellen und anstehenden Herausforderungen der Menschheit zu begegnen. Der Standort Jena hat die Entwicklung dieses wichtigen Zukunftsfeldes seither maßgeblich mitgeprägt: In der Thüringer Industrie finden sich heute 15.000 Arbeitsplätze mit Bezug zur Photonik. Darüber hinaus treiben Hochschulen und außeruniversitäre Thüringen wird zunehmend zu einem Knotenpunkt der europäischen Quantenforschung. Doch um Forschungsergebnisse langfristig zu sichern und nutzbar zu machen, braucht es noch mehr politischen Willen. Ein Beitrag von Prof. Dr. Andreas Tünnermann. Forschungseinrichtungen weitere Fortschritte voran. Und das mit Erfolg: Seit der ersten Quantenrevolution sind erneut 50 Jahre vergangen – und wir sind einen großen Schritt weiter. Heute können wir einzelne Quanten kontrollieren und stehen damit an der Schwelle zur mittlerweile zweiten Quantenrevolution. Die Photonik ist hierbei ein wichtiger Enabler: Zahlreiche Einrichtungen in Thüringen befassen sich mit vielfältigen Aspekten der zweiten Quantenrevolution auf der Grundlage ihrer ausgewählten Kompetenz in der Photonik. Netzwerke wie der „Quantum Hub Thüringen“ bündeln dabei das mannigfaltige Wissen und schaffen Synergien zwischen Forschung, Industrie und Wissenschaft. Gemeinschaftlich wird hier der Mehrwert der Quanten für die Bereiche Computing, Bildgebung und Kommunikation untersucht. Insbesondere in der IT-Sicherheit der Zukunft sind die Quanten stark gefragt. Denn unsere Welt ist hochvernetzt und deswegen in besonderem Maße anfällig für Cyberangriffe. Attacken auf kritische Infrastrukturen wie Energienetze und sicherheitskritische Behörden können nicht nur sensible Daten, sondern potenziell sogar Leben gefährden. Die Quantentechnologien halten hier, im wahrsten Sinne des Wortes, den Schlüssel zur Zukunft für uns bereit. Denn mithilfe von miteinander verschränkten Lichtteilchen lassen sich sensible Informationen in Zukunft physikalisch nachweislich und praktisch abhörsicher verschlüsselt übertragen. Thüringen wird zunehmend Knotenpunkt der europäischen Quantenforschung Auch die Bundesregierung hat längst erkannt, dass es Zeit ist zu handeln – und vertraut bei der Entwicklung von Systemen zur quantengesicherten Fraunhofer IOF Der (Quanten-)Schlüssel zur Zukunft Eine Quelle zur Erzeugung verschränkter Photonen erlaubt unter anderem die sichere Quantenkommunikation per Satellitennetzwerk.

Prof. Dr. Andreas Tünnermann Andreas Tünnermann leitet seit 2003 das Fraunhofer Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF in Jena und ist seit 2009 Mitglied des Direktoriums des Helmholtz-Instituts Jena und des Abbe Centers of Photonics. 17 Kommunikation auf das Know-how und den innovativen Ideenreichtum der Forschenden aus Jena. Unter Leitung des Fraunhofer IOF wird hier etwa die Initiative QuNET, ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 125 Millionen Euro gefördertes Pilotprojekt zur Erforschung der Quantenkommunikation für den Einsatz in Behörden, vorangetrieben. Weitere Forschungsprojekte unter Förderung der Europäischen Union greifen nach den Sternen und widmen sich dem Austausch von Quantenschlüsseln via Satelliten, um langfristig auch europäische Kommunikationsnetze gegen Angriffe von außen schützen zu können. Um die Forschung in dieser Richtung weiter auszubauen, wird das neuste Forschungsgebäude des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF sogar über eine optische Bodenstation verfügen, gefördert vom Land Thüringen. Mit diesen und weiteren Investitionen setzt die Politik immer wieder wichtige Impulse, die nicht nur der enormen Bedeutung der Quantentechnologien Tribut zollen, sondern auch dem Zukunftscharakter des Wissenschaftsstandortes Thüringen. Jenaer Forschende erzielen Rekordwerte in der Quantenkommunikation Mit ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit erzielen Forschende aus Jena dabei immer wieder Rekordwerte: Auf einer Teststrecke zwischen dem Fraunhofer-Institut auf dem Beutenberg und den Stadtwerken Jena wurden über eine Distanz von 1,7 Kilometern Luftlinie bereits erfolgreich Quantenschlüssel mit Schlüsselgenerierungsraten im Bereich von mehreren Kilobit pro Sekunde ausgetauscht. Für den Austausch eines Quantenschlüssels via Freistrahl innerhalb eines urbanen Gebiets gehört diese Generierungsrate weltweit zu den höchsten. Sie würde ausreichen, um ein Telefonat innerhalb einer Stadt problemlos hochsicher zu verschlüsseln. Noch größere Distanzen überbrückten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im vergangenen Jahr als erstmals erfolgreich Quantenschlüssel via Glasfaser über eine Strecke von 75 Kilometern zwischen Jena und Erfurt ausgetauscht wurden. Der Clou dabei: Die Übertragung erfolgte über konventionelle Telekommunikationsglasfaser. Ein weiterer Ausbau der Teststrecke ist um Netzwerkpunkte in Nordhausen, Dresden, Erlangen, Frankfurt und München geplant. Gemeinsam die technologische Souveränität Europas stärken Kurzum: Forschende an Thüringer Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind maßgeblich daran beteiligt, die zweite Quantenrevolution mitzugestalten. Ausgründungen wie etwa die Quantum Optics Jena GmbH, ein Spinoff des Fraunhofer IOF, tragen weiterhin dazu bei, Forschung vom Labor raus in die reale Anwendung zu überführen (siehe Beitrag Seite 12). Doch ohne weiteren politischen Willen und ein gemeinsames Engagement von Wissenschaft und Wirtschaft geht es nicht. Der Paradigmenwechsel hin zu den Quantentechnologien bietet dabei auch für uns als Gesellschaft, speziell als europäische Gemeinschaft, eine Chance für ein stärkeres Zusammenwachsen. Durch eine aktivere europäische Industriepolitik kann es uns gelingen, uns als Wirtschaft und Gesellschaft global zu emanzipieren. Denn tatsächlich nützt es uns wenig, Methoden zur hochsicheren Verschlüsselung in Europa zu erforschen, wenn Bauteile für elektronische Geräte wie Computer und Smartphones nach wie vor im außereuropäischen Ausland eingekauft werden müssen. Wir können noch so effektiv verschlüsseln, jedoch wird jede hochsichere Kryptographie kompromittiert, wenn sich in jeder Computerhardware ein Hintertürchen versteckt. IT-Sicherheit ist eine europäische Aufgabe, für die wir gemeinsame Verantwortung übernehmen müssen. Die Quantentechnologien bieten uns hier den Startschuss für ein neues Zeitalter – technologisch wie auch gesellschaftlich. (at) Foto: VWT Quantenforschung in Thüringen: Das sind die Akteure Abbe Center of Photonics an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Technische Universität Ilmenau DLR-Institut für Datenwissenschaften Jena Helmholtz-Institut Jena Leibniz-Institut für Photonische Technologien (IPHT) Jena Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF Jena Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT Ilmenau Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung Ilmenau Institutsteil für angewandte Systemtechnik (IOSB-AST) IMMS Institut für Mikroelektronik- und Mechatronik- Systeme gemeinnützige GmbH (IMMS GmbH) Fraunhofer-Projektzentrum für Mikroelektronische und Optische Systeme für die Biomedizin Erfurt CiS Forschungsinstitut für Mikrosensorik GmbH Erfurt

Digitalisierung und Datensicherheit 18 Foto: MooseD - stock.adobe.com Manchmal kommt man sich vor wie beim Bullshit-Bingo. Wenn von Digitalisierung die Rede ist, fallen Schlagwörter ohne Ende. Immer wieder hört oder liest man vom Segen der digitalen Plattform-Ökonomie. Aber was ist das wirklich? Louise Meier hat ihre Masterarbeit zu diesem Thema im Fachgebiet Wirtschaftstheorie an der Technischen Universität Ilmenau geschrieben. In ihrem Fachbeitrag bringt sie Licht ins Dunkel. Sind digitale Plattformen Chance für den Thüringer Mittelstand? Plattformökonomie Plattformmärkte gelten als erfolgsversprechendes Geschäftsmodell der Digitalisierung. Dabei wird die digitale Plattform gern als Sammelbegriff für allerlei digitale Geschäftsmodelle aufgeführt. Doch ist jedes digitale Geschäftsmodell gleichzeitig eine digitale Plattform? Warum der inflationäre Gebrauch des Wortes enden sollte, und warum es für das eigene Geschäftsgebaren wichtig ist, zu verstehen, was sich wirklich hinter dem Begriff verbirgt. Ein Erklärungsversuch. Das perfekte Geschäftsmodell? Es klingt nach dem perfekten Geschäftsmodell: Ich kenne zwei Marktseiten in meiner Region, die ich durch meine digitale Plattform zusammenbringe. Die Marktseiten kommunizieren, tauschen Dienstleistungen und Waren aus. Ich profitiere als Plattform-Unternehmen durch Transaktions- und Servicegebühren, ohne je eigene Waren vorzuhalten, maximiere meine Gewinne durch Transaktionen der beiden Marktseiten, und dies sogar mit stetig sinkenden Grenzkosten, die irgendwann bei null liegen. Die Sache kann jedoch auch einen Haken haben: nämlich, wenn solch eine Plattform bereits existiert. Denn Plattformmärkte, auch „zwei- oder mehrseitige Märkte“, unterscheiden sich in ihrer Funktion grundlegend von klassischen („einseitigen“) Märkten, und verschieben auf diese Weise bekannte Angebots- und Nachfragemodelle, Machtverhältnisse und Wertschöpfungsanteile. Wenn das eigene Geschäftsmodell auf einer Plattform basiert, ist es also ratsam, die Wirkungsprinzipien von Plattformen zu verstehen, da diese den Erfolg einer Plattform bestimmen – oder eben den Misserfolg. Was ist eine digitale Plattform? Eine digitale Plattform ist ein Vermittler in einem zwei- oder mehrseitigen Markt. Sie verknüpft zwei oder mehrere unterschiedliche Akteursgruppen (Kunden, Lieferanten, Nutzer, Dienstleister). Die Plattform stellt eine offene Infrastruktur zur Verfügung und bestimmt die Regeln für den Austausch. Die Akteursgruppen profitieren jeweils von der Größe der anderen Gruppe/n. Durch die Verbreitung des Internets erlebte das Geschäftsmodell der digitalen Plattformen im B2C-Bereich einen enormen Zuwachs. Die wichtigsten Plattformen kennt fast jeder: YouTube, eBay oder Amazon. Eine digitale Plattform bildet also die Basis für den Austausch von Leistungen zwischen mehreren Akteursgruppen. Die Betreiber der Plattform stellen die digitale Infrastruktur für diesen Austausch bereit, ohne eigene Leistungen anzubieten. In der Regel dient die Plattform dazu, Austauschprozesse zu strukturieren, koordinieren und automatisieren. Eine erfolgreiche Plattform perfektioniert diese

Louise Meier ist Accountmanagerin und Head of Digital im FACHVERLAG THÜRINGEN Digitalisierung und Datensicherheit 19 Foto: Sandra Böhm Infrastruktur und begünstigt auf diese Weise positive indirekte Netzwerkeffekte. Indirekte Netzwerkeffekte als Erfolgsfaktor von Plattformen Eine Plattform ist dann erfolgreich, wenn sie von möglichst vielen Akteuren der jeweiligen Marktseite genutzt wird. Auf einer Handelsplattform beispielsweise ist es für die Händler umso besser, je mehr Kunden die Plattform nutzen und ihre Produkte auf diesem Weg kaufen könnten. Andersherum haben die Kunden den Vorteil einer größeren Auswahl, wenn viele Händler die Plattform nutzen. Kurz gesagt: Je mehr Akteure die Plattform nutzen, desto mehr weitere Akteure werden durch die Plattform angezogen, und desto größer ist der Nutzen für jeden einzelnen Akteur. Je größer das Angebot und die Nachfrage auf beiden Marktseiten, also diese indirekten Netzwerkeffekte, sind, desto attraktiver ist auch die Plattform. Verdrängungsprozesse bestimmen den Markt Je höher die indirekten Netzwerkeffekte einer digitalen Plattform sind, desto stärker entwickelt sich der Marktanteil – zu Ungunsten anderer Wettbewerbsteilnehmer mit der gleichen Idee. Verdrängungsprozesse wirken bei zweiseitigen Märkten deutlich stärker als bei klassischen einseitigen Märkten. Dies führt sowohl zu höheren Markteintrittsbarrieren als auch zu stärkeren monopolistischen Tendenzen. Nutzen wir dazu das Beispiel der Suchmaschine: Nutzen Sie noch Bing? Nein, wahrscheinlich googeln Sie eher – die Plattform ist so dominant, dass sie es bereits als eigenes Verb in den Duden geschafft hat. Natürlich gibt es andere Suchmaschinen – Google hat heute jedoch in einigen Ländern einen Marktanteil von bis zu 90 Prozent. Und so funktionierts: Die Nutzer fragen bei Google die Dienstleistung „Suche“ nach. Anbieter zielen darauf ab, dass ihre Angebote (Inhalte, Werbung, eigene Website) durch die Suchmaschine gefunden werden. Suchende profitieren dann, wenn die Such- maschine viele Inhalte findet, die möglichst genaue Ergebnisse zu den eigenen Suchpräferenzen wiedergeben. Anbieter von Inhalten und Werbung profitieren von einer hohen Anzahl an Googelnden, die wiederum Nutzer ihrer Inhalte oder Betrachter ihrer Werbung sind. Besonders attraktiv ist der Umstand, dass die Nachfragenden die Plattform kostenfrei nutzen können, während die andere Marktseite hohe Transaktionskosten für die Sichtbarkeit der eigenen Inhalte zahlt (beispielsweise ein hohes Ranking über GoogleAds oder SEO). Plattformen können auch scheitern Kennen Sie noch StudiVZ? Dieses einst von deutschen Unternehmern gegründete soziale Netzwerk gibt es nicht mehr; es wurde durch Facebook obsolet. Warum sollten Nutzer in zwei sozialen Netzwerken aktiv sein, wenn beide Plattformen für den gleichen Zweck bestimmt sind: den schriftlichen Austausch von Informationen mit Freunden und Bekannten? Nutzer werden sich mittelfristig immer für die Plattform entscheiden, die für sie die höheren indirekten Netzwerkeffekte bereithält (Wo sind mehr meiner Freunde aktiv?). Das Gleiche gilt für Werbekunden: Die attraktivere Plattform mit höheren indirekten Netzwerkeffekten gewinnt und baut langfristig ihre marktbeherrschende Stellung aus. StudiVZ ist mittlerweile Geschichte. Plattformen im B2B-Bereich Digitale Plattformen sind schon lange kein B2C-Trend mehr: wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln aus 2019 zeigt, ist die Durchdringung auch im B2B angekommen. Knapp 70 Prozent der KMU in industrienahen Branchen nutzen bereits digitale Plattformen. Davon setzen 47 Prozent Plattformen für den Einkauf ein und 49 Prozent für den Vertrieb an Unternehmenskunden. Gängige Plattformen sind beispielsweise Mercateo, Wer-liefert-was? oder Amazon Business. Diese Plattformen bieten die Infrastruktur für digitale Handelsbeziehungen und professionalisieren das Einkaufs- und Vertriebsmanagement des Mittelstandes. Warum der eigene Webshop keine digitale Plattform ist? Ein Webshop listet die Waren des eigenen Unterneh-

Digitalisierung und Datensicherheit 20 mens und bietet diese Kunden online zum Kauf an. Es herrscht ein klassisches Angebots- und Nachfragemodell: Ein Anbieter trifft mit seinem Angebot auf eine Vielzahl von möglichen Nachfragern. Hier bestehen keine indirekten Netzwerkeffekte, sondern direkte Netzwerkeffekte, denn die Zahl der Nachfrager richtet sich beim eigenen Webshop nicht nach der Anzahl der Anbieter (einseitiger Markt mit einem Anbieter, nämlich dem Unternehmen, das den Shop betreibt). Im Gegensatz zum eigenen Webshop treten Unternehmen auf den oben genannten Online-Plattformen gemeinsam mit anderen Wettbewerbern gegenüber einer Vielzahl von Kunden auf. Das hat Vorteile: Anbieter profitieren durch den schnellen digitalen Marktzugang und treffen auf eine Vielzahl potenzieller Käufergruppen. Und dies ohne Investitionen in die Webshop-Entwicklung und die digitale Shop-Infrastruktur. Einkäufer treffen im Gegenzug auf ein großes Sortiment mit hoher Preistransparenz und profitieren von sicheren Plattformen mit hoher Performance. Ersetzen B2B-Plattformen künftig den klassischen Webshop? Plattform-Experten zufolge haben eigene Webshops es oft schwer, von Google gefunden zu werden. Zu hoch sind die SEO-Rankings der gängigen Plattformen. Doch B2B-Plattformen haben auch Nachteile: durch die Abführung von Transaktionsgebühren verringern sich Margen. Außerdem sind individuelle Unternehmensmerkmale wie die Qualität des Kundenservice, eigens entwickelte ProduktKonfiguratoren oder das Angebot von Einzel- und Individualfertigungen schwer auf fremden Plattformen abbildbar. B2B-Plattformen werden aufgrund der genannten Vorteile aber durchaus langfristig die digitale Ökonomie mitbestimmen. Funktionieren regionale Plattformen? Wir wissen, dass Plattformen von der Anzahl ihrer Akteure auf beiden Marktseiten abhängen. Und wir haben gelernt, dass Plattformen Monopolstellungen begünstigen. Ergeben regionale Plattformen also Sinn? Jein! Eine bestehende regionale Handels-Plattform für Einkauf und Vertrieb zu nutzen, kann eine sinnvolle Ergänzung zum bisherigen Geschäftsmodell darstellen. Die generellen Vorteile wurden bereits genannt. Außerdem bieten sie beispielsweise Zulieferern die Möglichkeit, bestehende Abhängigkeiten von Kunden aufzubrechen und neue regionale Kundensegmente zu erschließen. Klassische Wertschöpfungsketten werden auf diese Weise zu regionalen Wertschöpfungsnetzwerken, in denen Unternehmen sowohl als Anbieter, als auch als Nachfrager agieren können und beispielsweise kurzfristige Angebots- oder Nachfrageschwankungen sowie Kapazitätsauslastungen regional ausgleichen oder abfedern können. Mittelfristig warten hier Effizienzgewinne und Umsatzwachstum. Doch auch hier gilt: Nur, wenn die Plattform genügend Akteure auf beiden Seiten miteinander vernetzen kann, haben regionale Handelsplattformen eine Chance. Daher: Wenn regionale Plattformen die Wertschöpfung Ihres Unternehmens positiv beeinflussen können und zu Effizienzgewinnen führen: Nutzen Sie sie! Verzichten Sie jedoch lieber auf die Nutzung regionaler Marketing-Plattformen. Erinnern Sie sich an das Beispiel StudiVZ? Etablierte B2B-Social-Plattformen wie LinkedIn haben die indirekten Netzwerkeffekte so perfektioniert, dass die Nutzung regionaler sozialer Netzwerke im Business-Kontext keinen Sinn ergibt. Denn Marketingmaßnahmen und Informationsaustausch funktionieren nur da, wo eine „kritische Masse“ an Akteuren bereits vorhanden ist. Von der Nutzung oder sogar Schaffung einer neuen regionalen Plattform für reine Kommunikations- und Marketingzwecke ist daher abzuraten. Kommen wir abschließend zu unserer Anfangsüberlegung zurück: Sie haben das Gefühl, mit Ihrer Geschäftsidee mittels Schaffung einer neuen Plattform einen originären Markt zu erschließen und eine Nische zu besetzen? Dann kann Ihr Vorhaben nur dann gelingen, wenn die Wirtschaftlichkeit der Plattform unter einer Vielzahl von Gesichtspunkten betrachtet und evaluiert wird. Denn Wirtschaftlichkeit geht bei Plattformen immer auch mit Originalität einher. Es besteht bereits eine Plattform, die ähnliches kann? Diese Plattform wird womöglich bereits stärkere indirekte Netzwerkeffekte besitzen. Dann sind Ihre Erfolgschancen eher gering. Stellen Sie sich also immer auch die Frage: Ist in meinem Markt Platz für eine weitere Plattform? Bei der Schaffung einer neuen regionalen Plattform gilt daher noch eindringlicher als bei anderen digitalen Geschäftsmodellen: Prüfen Sie den Einzelfall und beherrschen Sie die Gesetze der Plattformökonomie! Die geltenden Prinzipien kennen Sie nun. Plattformen rege nutzen Digitale Plattformen können dann eine Chance für den Mittelstand darstellen, wenn bestehende Plattformen rege genutzt werden, um eigene Wettbewerbsvorteile auszubauen und Effizienzgewinne zu schaffen. (lm) „Bestehende Plattformen können eigene Wettbewerbsvorteile ausbauen und Effizienzgewinne schaffen.“

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